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(BIAJ) Hetze nach Veröffentlichung der ersten Seite eines kommunalen "Hartz IV-Bescheides" mit einem angeblichen monatlichen Gesamtbedarf (!) von 4.285 Euro pro Monat, nicht genanntem auszuzahlenden Gesamtbetrag und nicht genannten Zahlungsempfängern/Zahlungsempfängerinnen. Ein vom Jobcenter Saalekreis ("Eigenbetrieb für Arbeit"; ohne Beteiligung einer Agentur für Arbeit***) veröffentlichtes vollkommen unzureichendes „Statement zur Veröffentlichung eines Leistungsbescheides im Internet“. Die durch die unerträgliche Hetze erzwungene erneute Flucht einer Familie mit fünf Kindern im "Ursprungsland der Reformation" (Eigenwerbung Sachsen-Anhalt), die dem BIAJ erst nach der eMail an das Jobcenter Saalekreis (siehe unten) bekannt wurde. (siehe u.a. hier: http://www.mz-web.de/merseburg/geleakter-hartz-iv-bescheid-darum-ist-afghanische-familie-jetzt-erneut-auf-der-flucht-25143968) Und eine Frage am Rande: Eine Steilvorlage des Saalekreises und seines Jobcenters für eine Jan-Böhmermann-Satire: "Flüchtlinge statt Rote-Bullen-Brause - der unaufhaltsame Aufstieg des SV Merseburg 99"?  (juristische Prüfung noch nicht abgeschlossen!)
(***Der Bescheid eines Jobcenters in gemeinsamer Trägerschaft von Agentur für Arbeit und Landkreis ist vollkommen anders aufgebaut als der des Jobcenters Saalekreis. Siehe hier mit den "Zusatzinformationen": https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/BuergerinnenUndBuerger/Arbeitslosigkeit/Grundsicherung/Detail/index.htm?dfContentId=L6019022DSTBAI485763)

eMail des BIAJ (22. November 2016; 17:01 Uhr) an das Jobcenter Saalekreis, den Landkreis Saalekreis (Träger des Jobcenters) und in Kopie an die gemäß "Grundsicherungsgesetz Sachsen-Anhalt" zuständige Aufsichtsbehörde in Sachsen-Anhalt ("Grundsicherungsgesetz Sachsen-Anhalt")

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Jobcenter Saalekreis („Eigenbetrieb für Arbeit“) reagierte auf die nicht anonymisierte Veröffentlichung der ersten Seite eines Bewilligungsbescheids („Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“) einer Familie aus Afghanistan mit einem „Statement zur Veröffentlichung eines Leistungsbescheides im Internet“. Darin distanziert sich das Jobcenter „entschieden von dem Verstoß gegen den Sozialdatenschutz durch Veröffentlichung und Verbreitung eines Leistungsbescheides“ und stellt fest: „Die bewusste unvollständige Veröffentlichung des Bescheides dient der Täuschung der Öffentlichkeit.“ (https://www.efa-sk.de/web/presseinformationen-2016)

Die getäuschte Öffentlichkeit wird im folgenden Text aber nur unzureichend über die Täuschung informiert. Es heißt lediglich: „Damit wird die tatsächlich der Familie zur Verfügung stehende Leistung für den Lebensunterhalt, die dem gesetzlichen Rahmen entspricht und deutlich unter der veröffentlichten Summe liegt, bewusst verschleiert.“

Dies ist ärgerlich, da es, vorsichtig formuliert, nicht zu einer Versachlichung der Diskussion über einen Leistungsbescheid beigetragen hat. Der im Leistungsbescheid genannte Bedarf in Höhe von 4.285 Euro (vor Anrechnung von Kindergeld und ggf. anderen Einkommen) setzt sich offensichtlich wie folgt zusammen:
- gesetzlich geregelter Regelbedarf (ohne Kosten der Unterkunft und Heizung) für sieben Leistungsberechtigte (2.045 Euro: 2 x 364 Euro plus 4 x 270 Euro und 1x 237Euro) und
- ein Betrag von insgesamt 2.240 Euro.

Die Höhe des im SGB II so nicht nachvollziehbar geregelten Betrages (2.240 Euro) und die nicht bekannten weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen (Verordnungen, Richtlinien usw.), die diesen Betrag von 320 Euro pro Person in einer siebenköpfigen Bedarfsgemeinschaft nachvollziehbar machen würden, erwecken den Eindruck einer unangemessenen Bevorzugung dieser Familie. Denn in der Regel ergibt sich dieser Betrag (Teilbetrag) aus den laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung.

Dem hätte das Jobcenter Saalekreis durch die Offenlegung der gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen, die für alle SGB II-Leistungsberechtigten gelten, entgegentreten können und u.E. müssen. Der Datenschutz verbietet es nicht, offenzulegen, in welchem Rahmen sich die rechtlichen Ansprüche auf „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ (einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung) einer hilfebedürftigen Familie mit fünf Kindern im Saalekreis bewegen – und an welcher Stelle das wie für den Saalekreis geregelt ist.

Dies ist bisher nicht geschehen. Angesichts des nicht nachvollziehbaren Betrages von 320 Euro pro Kopf und Monat – in den Medien ist neben den Kosten der Unterkunft und Heizung von „Betreuung“ die Rede – drängt sich die Vermutung auf, das Jobcenter Saalekreis schiebe in seinem „Statement“ den „datenschutzrechtliche Gründe“ vor, um keinen Einblick in seine Bewilligungsgründe und Bewilligungspraxis zu gewähren.

Der in diversen Medien verbreiteten Vermutung, in den 320 Euro seien auch Kosten der „Betreuung“ enthalten, wurde vom Jobcenter Saalekreis bisher nicht widersprochen. Und das, obwohl gemäß SGB II die Kosten für „Betreuung“ nicht zu den „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ zählen und damit auch nicht in einen „Leistungsbescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“ (Statement des Jobcenters Saalekreis) gehören.

Bei Annahme von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt z.B. 700 Euro (100 Euro pro Person) ergäbe sich rechnerisch ein „nicht geklärter Anteil“ von 1.540 Euro (220 Euro pro Person). Sollte auf Grundlage der „KdU-Richtlinie“ des Landkreises eine höhere Miete anerkannt worden sein, verringert sich dieser Anteil entsprechend. Es bliebe aber ein hoher Anteil, der u.E. nicht in einen „Leistungsbescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“ gehört. Oder ist es im Landkreis Saalekreis üblich, z.B. die Kosten für die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oder die häusliche Pflege von Angehörigen, die Schuldnerberatung, die psychosoziale Betreuung und/oder Suchtberatung (Leistungen gemäß § 16a SGB II) in diese Leistungsbescheide aufzunehmen?

In diesem Zusammenhang wird in den Medien immer auch die am 25. September 2015 an die Stelle des Betreuung und Integrationshilfe e.V. getretene BIH GmbH genannt, „Hauptsponsor“ des SV Merseburg 99. Die von der BIH GmbH unterstützte Integrationsarbeit des SV Merseburg 99 wird auf der Seite des DFB-Amateurfußballs hervorgehoben („Integration durch Sport“ - „Merseburg: Der ungewöhnliche Weg nach oben“: http://www.fussball.de/newsdetail/merseburg-der-ungewoehnliche-weg-nach-oben/-/article-id/157015#!/section/news-detail). Da drängt sich auch aus der Ferne die Frage auf: Wie stellt sich die in den Medien erwähnte „Betreuung“ und deren Kosten dar und wie die Finanzierung? Eine Frage, deren Beantwortung durch das Jobcenter Saalekreis sicher auch für die anderen 407 Jobcenter von Interesse sein könnte.

Mit der Bitte um mehr Transparenz (Aufklärung durch ein ergänzendes Pressestatement) über die Hintergründe eines ungewöhnlichen hohen, irritierenden Betrages (Teilbetrag: 2.240 Euro) in (mindestens) einem „Leistungsbescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“ verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen.
Paul M. Schröder
Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung
und Jugendberufshilfe (BIAJ)

Anmerkung für Leserinnen und Leser außerhalb des Saalekreises (Kreisstadt Merseburg): Der alleinige Geschäftsführer der BIH GmbH ist auch Präsident des SV Merseburg 99. Der sportliche Leiter des SV Merseburg 99 (siehe oben genannten Artikel in fussball.de) war vom 26. November 2015 bis 12. Mai 2016 weiterer (zweiter) Geschäftsführer der BIH GmbH und vom 12. Mai 2016 bis 17. November 2016 (!) Prokurist (Einzelprokura). (Quelle: Handelsregister)