(BIAJ) „7,9% weniger“. „Die wenigsten … in Baden-Württemberg (37,7%)“. BILD-Online berichtete am 11. Juni 2016: „Laut Bundesagentur für Arbeit lebten Ende 2015 insgesamt 2.572.134 Personen bereits länger als 4 Jahre von der Stütze. Das waren 7,9% weniger als im Dezember 2014 …“ Und die BILD weiter: „Die wenigsten … gibt es in Baden-Württemberg (37,7%).“ SPIEGEL-Online, ZEIT-Online und viele andere (Suchmaschinenworte News: Hartz und Dauer!) schrieben ab. Doch beides, die "7,9 Prozent weniger" und "die "wenigsten in Baden-Württemberg", ist falsch. (siehe BIAJ-Tabelle: BIAJ20160711)
Nur wenige wiesen auf die schöngerechnete falsche Veränderungsrate von 7,9 Prozent hin. (u.a. O-Ton-Arbeitsmarkt, FAZ-Online und nach zunächst erfolgter öffentlich-rechtlicher Weiterverbreitung der BILD-Falschmeldung auch tagesschau.de)
Die Erklärung für die falsche Veränderungsrate: BILD verglich den Bestand der „Regelleistungsberechtigten“ (RLB) mit einer „bisherigen Verweildauer im SGB II“ von vier Jahren und länger (RLB 4+) im Dezember 2015 nach der Revision der Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende (April 2016) mit dem nicht revidierten Bestand der „Leistungsberechtigten“ (Lb) im Dezember 2015. Ein korrekter Vergleich der Regelleistungsberechtigten mit einer bisherigen Verweildauer im SGB II von vier Jahren und länger (RLB 4+) im Dezember 2014 und Dezember 2015 ergibt eine Veränderungsrate von lediglich minus 0,8 Prozent statt minus 7,9 Prozent. (vgl. Spalten 2, 11 und 20)
Eine Erklärung für die BILD-Behauptung, in Baden-Württemberg sei der Anteil der „Regelleistungsberechtigten“ (RLB) mit einer „bisherigen Verweildauer im SGB II“ von vier Jahren und länger (RLB 4+) an den „Regelleistungsberechtigten“ im Dezember 2015 mit 37,7 Prozent (Anteil RLB 4+ an RLB) am geringsten konnte bisher nicht gefunden werden. Die Auswertung der revidierten Daten (siehe BIAJ-Tabelle) zeigt: Diese Anteile (Anteil RLB 4+ an RLB) reichen im Dezember 2015 in den Ländern von 34,1 Prozent in Bayern (BY) bis 53,0 Prozent in Sachsen-Anhalt (ST). (vgl. Spalte 12)
Anmerkung I: Deutlich höher liegen die entsprechenden Anteile bei den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit einer „bisherigen Verweildauer im SGB II“ von vier Jahren und länger (ELB 4+) an den „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ (ELB). Diese Anteile (Anteil ELB 4+ an ELB) reichen im Dezember 2015 in den Ländern von 37,1 Prozent in Bayern (BY) bis 58,4 Prozent in Sachsen-Anhalt (ST). (vgl. Spalte 15) Deutlich niedriger liegen die entsprechenden Anteile bei den nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit einer „bisherigen Verweildauer im SGB II“ von vier Jahren und länger (NEF 4+) an den „nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“ (NEF). Diese Anteile (Anteil NEF 4+ an NEF) reichen im Dezember 2015 in den Ländern von 26,4 Prozent in Bayern (BY) bis zu extrem hohen 46,2 Prozent in Berlin (BE). (vgl. Spalte 18) Die Erklärung für die niedrigeren Anteile (Anteil NEF 4+ an NEF): Die Kinder im Alter von unter vier Jahren im NEF-Bestand mit einer „natürlichen bisherigen Verweildauer“ von unter vier Jahren.
Anmerkung II: Die kleine Abweichung zwischen den in BILD genannten Zahl von 2.572.134 (RLB 4+) im Dezember 2015 und den 2.576.191 (RLB 4+) in Spalte 11 der Tabelle hat BILD nicht zu verantworten. Sie resultiert aus Fehlern in der Online-Veröffentlichung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (u.a. ausgerechnet wegen einer fehlerhaften Erfassung von "Harz-Daten" (!) – gemeint ist der Landkreis Harz ohne „t“ in ST). (Ende BIAJ20160711)
Nachtrag vom 12. Juli 2016: Eine weit verbreitete wirre Korrekturmeldung (dpa-AFX) vom 11. Juni 2016: Darin werden die richtigen Veränderungsraten für den Bund (-0,8 statt -7,9 Prozent) gemeldet und zugleich vollkommen wirre (mal "länger als vier Jahre", mal "länger als drei Jahre") und weit überhöhte Anteile (RLB 4+) und nicht nachvollziehbare Veränderungsraten in Hamburg und Saarland. Die Falschmeldung über Baden-Württemberg (siehe oben) bleibt unerwähnt. (vgl. dazu BIAJ-Tabelle) Eine Korrekturmeldung voller Fehler! Auszug (Fehler durch BIAJ hervorgehoben; vgl. dazu die BIAJ-Tabelle vom 11. Juli 2016, siehe oben):
"NÜRNBERG/BERLIN (dpa-AFX) - … Bundesweit sei die Zahl dagegen zwischen Dezember 2014 und Dezember 2015 lediglich um 0,8 Prozent auf 2,576 Millionen zurückgegangen, berichtete die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf Anfrage. …
Die Bundesagentur widersprach damit zugleich einem Bericht der "Bild"-Zeitung (Montag), in der von einem Rückgang um 7,9 Prozent die Rede war. …
Im Osten ging die Zahl der Hartz-IV-Dauerbezieher binnen Jahresfrist dagegen um 3,4 Prozent zurück. Am stärksten fiel der Rückgang mit minus 6,1 in Sachsen aus, wo 61,6 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher vier Jahre oder länger auf Geldleistungen ihres Jobcenters angewiesen waren. In Mecklenburg-Vorpommern lag der Rückgang bei 4,9 Prozent; hier beziehen 60,9 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger die Hilfe länger als seit drei Jahren. In Brandenburg lag der Rückgang bei 4,7 Prozent (Anteil der Langzeit-Hartz-IV-Bezieher: 63,9 Prozent.)
Leicht gestiegen ist dagegen die Zahl der Langzeitbezieher von Hartz IV in Hamburg (plus 1,7 Prozent) und im Saarland (0,4 Prozent). In den übrigen Bundesländern hat sich dagegen die Zahl kaum verändert. …“ (siehe u.a.hier: http://www.bild.de/geld/aktuelles/roundupbundesagentur-zahl-der-hartzivdauerbezieher-46750390.bild.html oder auch hier: http://biaj.de/archiv-kurzmitteilungen/791-bild-hartz-iv-falschmeldungen-vom-11-juli-2016-vorlage-zum-vielfachen-abschreiben.html)
Unglaublich aber wahr: Die in der „Korrekturmeldung“ genannten falschen, weit überhöhten Anteile von 61,6 Prozent in Sachsen, 60,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 63,9 Prozent ergeben sich (auf eine Nachkommastelle abgerundet) aus den Regelleistungsberechtigten (ELB + NEF) mit einer Verweildauer von vier Jahren und länger im Dezember 2015 (RLB 4+) in Bezug auf die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) im Dezember 2014!
Nachtrag vom 12. Juli 2016, 11:34 Uhr: dpa hat die "wirre Korrekturmeldung" zwischenzeitlich korrigiert.
Am 12. Juli 2016 um 15:13 Uhr erhielt das BIAJ von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) die korrigierte dpa-Meldung (verbunden mit einer Entschuldigung und der Versicherung, "dass wir unsere Arbeitsabläufe überprüfen werden, damit das nicht mehr vorkommen kann.") Die korrigierte dpa-Meldung lautet:
"Bundesagentur: Zahl der Hartz-IV-Dauerbezieher nur im Osten gesunken
Vier Jahre und länger auf Hartz-IV angewiesen sein - dieses Schicksal trifft in Deutschland mehr als zwei Millionen Männer und Frauen. Auch wenn sich die Jobcenter um sie bemühen - es bewegt sich wenig.
Nürnberg/Berlin (dpa) - Trotz verstärkter Vermittlungsbemühungen der Jobcenter ist die Zahl der Hartz-IV Dauerbezieher zuletzt nur im Osten gesunken - dort allerdings teils überraschend stark. Bundesweit sei die Zahl dagegen zwischen Dezember 2014 und Dezember 2015 lediglich um 0,8 Prozent auf 2,576 Millionen zurückgegangen, berichtete die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf Anfrage. Im Dezember 2014 hatten noch 2,598 Millionen vier Jahre und länger sogenannte Hartz-IV-Regelleistungen bezogen.
Die Bundesagentur widersprach damit zugleich einem Bericht der «Bild»-Zeitung (Montag), in der von einem Rückgang um 7,9 Prozent die Rede war. Die in dem Blatt genannten Daten stammten aus Statistiken, die nach einer Revision vom Vorjahr überholt seien, sagte ein BA-Sprecher. Inzwischen würden in der Statistik beispielsweise auch Jobcenter-Leistungen für Nachhilfe und Vereinsbeiträge für Kinder aus Hartz-IV-Familien, aber auch Kinder ohne Hartz-IV-Bezug erfasst.
Im Osten ging die Zahl der Hartz-IV-Dauerbezieher binnen Jahresfrist dagegen um 3,4 Prozent zurück. Am stärksten fiel der Rückgang mit minus 6,1 in Sachsen aus, wo 51,0 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher vier Jahre oder länger auf Geldleistungen ihres Jobcenters angewiesen waren. In Mecklenburg-Vorpommern lag der Rückgang bei 4,9 Prozent; hier beziehen 49,9 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger die Hilfe vier Jahre und länger. In Brandenburg lag der Rückgang bei 4,7 Prozent (Anteil der Langzeit-Hartz-IV-Bezieher: 52,3 Prozent.)
Leicht gesunken ist die die Zahl der Langzeitbezieher von Hartz IV in Hamburg (minus 1,7 Prozent), während sie etwa im Saarland um 0,9 Prozent gestiegen ist. In den übrigen Bundesländern hat sich dagegen die Zahl kaum verändert. Die Rückgänge im Osten sind nach Erkenntnissen der Bundesagentur vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Langzeitarbeitslose zuletzt in Rente gegangenen sind. Denkbar sei auch, dass manche Betroffenen nach aussichtsloser Jobsuche in den Westen abgewandert sind, sagte ein BA-Sprecher."