(BIAJ) In seiner Freizeit, an Wochenenden und in seinem Urlaub will der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, nun auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) leiten – fast ganz so wie die „Strukturkommission-Bundeswehr" im Jahr 2010 (siehe unten). Der BA-Vorstandvorsitzende Weise wurde von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (auch CDU) zum „Freizeit-Leiter" des BAMF bestellt. Zu dessen Aufgaben gehört es insbesondere auch, für eine „ordnungsgemäße Organisation der Asylverfahren" zu sorgen. (§ 5 Absatz 2 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG)?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hofft offenbar noch immer (?), mit einer Freizeit- und Urlaubsregelung, verbunden mit dem Verzicht auf „Besoldung", die Regelung des § 382 Absatz 5 SGB III aushebeln zu können. Danach darf ein Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit (BA) kein anderes besoldetes Amt ausüben. 

Der BA-Vorstandsvorsitzende Frank-Jürgen Weise kennt diese „Arbeitsteilung" aus der Zeit als Leiter der vom damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Teodor zu Guttenberg in 2010 einberufenden „Strukturkommission Bundeswehr". In seiner Antwort auf die Frage der Süddeutschen Zeitung (Thomas Öchsner und Uwe Ritzer) „Sind Sie als BA-Chef nicht genug ausgelastet?" stellte Frank-Jürgen Weise klar: „Ich nehme für jeden Tag bei der Reformkommission entweder Urlaub bei der BA oder investiere Freizeit und Wochenenden." (Süddeutsche Zeitung, Online, 11. Oktober 2010)

Natürlich hat man den Satz „Ich nehme für jeden Tag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entweder Urlaub bei der BA oder investiere Freizeit und Wochenenden." bisher nicht vernommen. Unklar bleibt bisher auch, wie eine selbständige Bundesoberbehörde (§ 87 Artikel 3 Grundgesetz), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), deren Leitung die Amtsbezeichnung „Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge" führt, in der Freizeit nebenbei geführt werden kann und darf. Die Leitung der selbständigen Bundesoberbehörde BAMF ist gemäß Bundesbesoldungsgesetz zudem, anders als die Leitung einer „Strukturkommission" ein „besoldetes Amt". 

Und nicht zuletzt stellt sich die Frage: Darf der „Freizeit-Leiter" des BAMF während seiner „Freizeitbeschäftigung" u.a. auch jene Aufgaben übernehmen, für deren ordnungsgemäße Organisation der „Leiter des Bundesamtes" zu sorgen hat – „die ordnungsgemäße Organisation der Asylverfahren"? (Asylverfahrensgesetz: § 5 Absatz 2 AsylVfG) Oder anders gefragt: Wer sorgt für die „ordnungsgemäße Organisation der Asylverfahren", wenn der vom Bundesinnenminister nach § 5 Absatz 2 Satz 1 AsylVfG bestellte „Freizeitchef" des BAMF, dies nicht darf? Oder aber sollte dem Bundesinnenminister die „ordnungsgemäße Organisation der Asylverfahren" nicht mehr ganz so wichtig sein? (Anmerkung: Das Asylrecht auf dem Weg der Arbeitslosenhilfe, die nur noch im Grundgesetz erwähnt wird?)

Und zum bisherigen Schluss (23. September 2015: 18:25 Uhr) noch einmal die Empfehlung vom 21. September 2015: „Der Vorstandsvorsitzende der BA sollte von seinem Amt zurücktreten, um sich ganz und gar auf das fordernde und besoldete Amt des BAMF-Präsidenten konzentrieren zu können, und um den Weg für eine(n) neue(n) BA-Vorstandsvorsitzende(n) freizumachen." Siehe dazu auch die BIAJ-Kurzmitteilung „Aylan, Charlie Hebdo, McDonald's, BA-Chef und BAMF-Präsident – fünf Tage im September 2015" vom 21. September 2015. (hier)


Ergänzung vom 24. September 2015: Siehe hierzu auch den aktuellen Aufbau des BAMF am 24. September 2015 - ohne weiteren Kommentar - BAMF20150924


Nachtrag: Siehe dazu auch die Fragen und Antworten dazu im Deutschen Bundestag:

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 123. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 23. September 2015 - Auszug aus dem Plenarprotokoll:

Vizepräsident Peter Hintze: Letzter Fragesteller in der Regierungsbefragung: der Abgeordnete Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Am 18. September war auf der Website des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu lesen, dass als Nachfolger des Präsidenten Schmidt Herr Weise Präsident des BAMF wird. Da gibt es ein Problem. Nach SGB III ist es dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit verboten, ein weiteres besoldetes Amt auszuüben. Laut Beamtenrecht ist es dem Präsidenten des BAMF wiederum verboten, auf seine Besoldung ganz oder teilweise zu verzichten. Vor diesem Hintergrund stelle ich einem Vertreter des Bundesinnenministeriums die Frage: Wann wird wer als Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge benannt, und wer hat dann die dienstrechtliche und fachliche Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge?

Vizepräsident Peter Hintze: Die Frage ist zugelassen. Aber wer antwortet, entscheidet die Bundesregierung. – Ich sehe, Herr Staatssekretär Dr. Schröder vom Bundesinnenministerium wird antworten. Bitte schön.

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Herr Kollege Beck, Sie haben die Vorschrift richtig zitiert. Darin ist klar geregelt, dass es dem Präsidenten des Bundesamtes nicht möglich ist, ein weiteres besoldetes Amt zu bekleiden.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wussten Sie das nicht?)

Es ist so, dass Herr Weise keine zusätzliche Besoldung erhält. Insofern ist dies dienstrechtlich kein Problem und wird entsprechend geregelt.

(Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer leitet dann dienstrechtlich das BAMF? Herr Weise? Das war die Frage! – Britta Haßelmann
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Teil der Frage!)

Vizepräsident Peter Hintze: Doch, er hat die Frage beantwortet.

(Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen darauf achten, dass er dem Parlament Rede und Antwort steht! Er kann doch nicht einfach die Antwort verweigern! – Gegenruf des Abg. Oliver Wittke [CDU/CSU]: Sie können ihm doch nicht vorschreiben, wie er antworten soll!)

– Herr Kollege Beck, ich darf Sie bitten, entspannt Platz zu nehmen. Die Bundesregierung hat die Frage aus meiner Sicht beantwortet.

(Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, das ist jetzt wirklich an der Grenze der Verletzung des Interpellationsrechts des Deutschen Bundestages! Die Frage ist: Wer leitet das Amt dienstrechtlich? Er verweigert die Antwort!)

– Die Frage ist: Wer leitet die Sitzung? Das bin ich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie zwingen uns, nach Karlsruhe zu gehen,
um die Antwort im Eilverfahren zu erzwingen! – Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Will die Regierung doch noch etwas dazu sagen, um den Frieden herzustellen? – Also noch einmal der Vertreter der Regierung. Bitte.

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe die Frage bereits implizit beantwortet. Entscheidend ist ja, ob Herr Weise Präsident
dieses Amtes werden kann. Ich habe gesagt: Selbstverständlich ist das nach den von Ihnen zitierten Vorschriften möglich, und selbstverständlich leitet der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dann auch das Amt.

(Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay! Das hat der Präsident des Bundesamtes etwas anders gesagt!)

Vizepräsident Peter Hintze: Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung." (Hervorhebung durch BIAJ)


Der hervorgehobene Teil der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs veranlasste den Bundestagsabgeordneten Volker Beck zu einer (weiteren) Frage für die Fragestunde der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. September 2015.

Die Frage lautet: "Ist Frank-Jürgen Weise im dienstrechtlichen Sinne Leiter und Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, und aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die Ausführungen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder, in der Regierungsbefragung des
Deutschen Bundestages am 23. September 2015, Plenarprotokoll 18/123: „Entscheidend ist ja, ob Herr Weise Präsident dieses Amtes werden kann. Ich habe gesagt:
Selbstverständlich ist das nach den von Ihnen zitierten Vorschriften möglich, und selbstverständlich leitet der Präsident des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge dann auch das Amt" für vereinbar mit den Vorgaben des § 382 Absatz 5 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch einerseits, wonach Vorstandsmitglieder der Bundesagentur für Arbeit neben ihrem Amt kein anderes besoldetes Amt ausüben dürfen und des § 2 Absatz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes andererseits, wonach Beamte auf die ihnen zustehende gesetzliche Besoldung weder ganz noch teilweise verzichten können?"
(Quelle: Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/6136 vom 25.09.2015 - Fragen für die Fragestunde der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages am Mittwoch, dem 30. September 2015; Frage Nr. 38)

Die Frage wird von der Bundesregierung schriftlich beantwortet.


Die schriftliche Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Günter Krings auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/6136, Frage 38; siehe oben):

„Herr Dr. Weise hat auf Bitte des Bundesministers des Innern im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales zusätzlich zu seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit die Aufgabe übernommen, die Arbeitsabläufe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu analysieren und zu optimieren.

Erstens wird er die Asylverfahren analysieren und bei Bedarf so anpassen, dass sie noch weiter beschleunigt werden können.

Zweitens soll er mit seiner Erfahrung aus der Bundesagentur für Arbeit dabei helfen, die Stellen im BAMF noch schneller zu besetzen.

Und drittens wird Herr Weise sein Wissen aus den erfolgreichen IT-Prozessen der Bundesagentur für Arbeit einbringen, um das Zusammenspiel zwischen BAMF, Bundespolizei und den Behörden der Länder zu verbessern.

Darüber hinaus soll er beitragen, die Flüchtlinge mit dauerhafter Bleibeperspektive schnell in den Arbeitsmarkt und in unsere Gesellschaft zu integrieren. Herr Weise ist als Chef der Bundesagentur für Arbeit dafür prädestiniert, dort erfolgreich praktizierte Verfahren auf die Abläufe im BAMF zu übertragen und zueinander passende Strukturen zu schaffen.

In diesem Sinne leitet Herr Dr. Weise das BAMF. Dass Herr Dr. Weise bereit ist, kurzfristig diese Aufgaben zu übernehmen, ist angesichts der aktuellen Herausforderungen durch die hohe Zahl von Flüchtlingen von großer Bedeutung: Es geht darum, die Behörde BAMF so aufzustellen, dass sie zukunftsfähig und in der Lage ist, die Flüchtlingsthematik jetzt und auch in den nächsten Jahren zu bewältigen. Dass dies gelingt, ist für unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben in Deutschland und in Europa von hoher Bedeutung.

Der Vizepräsident des BAMF, Herr Dr. Griesbeck, führt die Amtsgeschäfte des BAMF, seitdem der Präsident des BAMF aus persönlichen Gründen um eine andere Verwendung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern gebeten hat.

Diese Situation steht im Einklang mit dem geltenden Recht."

Quelle: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 126. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 30 September 2015, Anlage 23, Seite 12260f. (http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18126.pdf)


Hinweis: Siehe dazu auch die BIAJ-Kurzmitteilung "CDU/CSU-SPD: Vier statt drei BA-Vorstandsmitglieder - mehr Zeit für BAMF-Freizeit-Leiter" vom 7. Oktober 2015: BIAJ20151007


Und siehe dazu auch die BIAJ-Kurzmitteilung "BA, BAMF und "the mind of movement" - eine Frage zur PTV Group" (AR-Vorsitz)  vom 8. Oktober 2015: BIAJ20151008


Ergänzung vom 23. Oktober 2015: BA und BAMF: Pressestelle der BA-Zentrale beantwortet Fragen zu "Ämterkombination", "Arbeitsteilung" und PTV Group ("mind of movement").Hier: BIAJ20151023